Abrechnung mit der Vergangenheit?

Nur wenige Kölner*innen besaßen 1945 die Einsicht und die Kraft, die Frage nach den Verantwortlichen für die Verbrechen der vergangenen zwölf Jahren und jene nach einer etwaigen eigenen Verstrickung ins NS-System selbstkritisch zu beantworten. Stattdessen sah sich die Mehrheit selbst als Opfer und verdrängte über Jahrzehnte erfolgreich alles, was diese Sicht in Frage stellte.

Eine persönliche Verantwortung für die NS-Verbrechen wurde ebenso vehement bestritten wie der Vorwurf, selbst von den Angeboten des NS-Regimes profitiert und von ihm angebotene Aufstiegsmöglichkeiten wahrgenommen zu haben. Plötzlich waren nahezu Mitglieder nur unter Zwang in die NSDAP eingetreten und beschwerten sich vehement über die aus ihrer Sicht ungerechte Entnazifizierung.

Als der Krieg dann am 8. Mai 1945 endlich auch sein offizielles Ende fand, blickten auch die Kölner*innen voller Sorgen in eine ungewisse Zukunft – und begannen mit dem Wiederaufbau.

Abrechnung mit der Vergangenheit?

Schuld und Verantwortung

HJ-Ausweise und weitere Dokumente, die vor dem Verbrennen gerettet wurden, Köln 1945 (Dr. Franz Rieder)

Nachdem sie von der Bevölkerung anfänglich unter Jubel als Befreier begrüßt worden waren, mussten die Amerikaner nur zu bald und mit zunehmend weniger Verständnis zur Kenntnis nehmen, dass die weitaus meisten Kölner*innen keinerlei Bereitschaft zeigten, auch nur einen Bruchteil der Schuld für das auf sich zu nehmen, was seit 1933 zunächst im eigenen Land und seit 1939 dann in Europa an Verbrechen begangen worden war.

Auf ihre immer wieder gestellten Fragen nach einer aktiven oder passiven Unterstützung des NS-Regimes, nach der deutschen Schuld an den Kriegsgräueln und an der Ermordung von Juden, Sinti und Roma sowie Regimegegnern, erhielten die hierfür zuständigen Einheiten der Kölner Militärregierung immer wieder Antworten, die sie befremdeten und schließlich entrüsteten.

Statt auch nur in Ansätzen Einsicht zu zeigen und einen kleinen Teil der Verantwortung für das zu übernehmen, was in den vergangenen zwölf Jahren geschehen war, wurde den Siegern immer wieder vorgeworfen, Köln übermäßig bombardiert und in eine Trümmerwüste verwandelt zu haben. Zugleich wurde zum Ausdruck gebracht, dass kritische Fragen nach etwaiger Schuld bei den Besiegten Enttäuschung hervorriefen. Stattdessen hatten die meisten, obwohl sie mehrheitlich das NS-Regime gestützt hatten, als Ausgleich für ihre Todesängste in den Bombennächten von den Alliierten offenbar Hilfe und Verständnis erwartet.

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"Wenn man mit diesen Menschen über Kriegsschuld und kollektive Verantwortung spricht, so mögen sie zwar zugeben, dass Deutschland eine besondere Verantwortung trägt, doch sind sie zutiefst davon überzeugt, dass die Hölle, durch die sie gegangen sind, mehr als eine Strafe war. Sie können nicht begreifen, dass man außerhalb Deutschlands wirklich annehmen konnte, das ganze deutsche Volk stehe hinter Hitler. Sie versuchen, einem die verzweifelte Hilflosigkeit klarzumachen, in der jeder einzelne sich dem System gegenüber befand. Dabei kommen dann auch all die Terrorgeschichten heraus, die wir kennen, die von ihnen fast jeder selber miterlebt hat und die wie ein Alb auf ihnen lasten." (Bericht von Werner Hansen aus Köln, 20.4.1945)

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"Pettenberg ist mit Sicherheit der fähigste und intelligenteste deutsche Journalist, den ich bislang kennengelernt habe. Pettenberg auf heikle Fragen anzusprechen, war so, als wenn man einen Knopf drückt und daraufhin ein komplettes Dossier mit Antworten aus den Akten des Propagandaministeriums der Nazis erhält. Er gab keine einzige zögerliche Antwort! Er war keineswegs damit zufrieden, nur auf die ‚Mitschuld der Alliierten‘ hinzuweisen, sondern holte zu einer eloquenten Verteidigung der These aus, dass ohne die stillschweigende und sogar aktive Billigung der Politik Hitlers durch die Westalliierten und deren frühes Versagen, die Führer der deutschen Demokratie zu unterstützen, der Nationalsozialismus niemals die enorme Stärke erlangt hätte, über die er schließlich verfügte." (Bericht des PW-Offiziers Edward Hartshorne aus Köln, April 1945)

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„Gebt mir fünf Jahre und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen” – Anschlag der amerikanischen Besatzungsmacht an der Ecke Hohenzollernring und Maastrichter Straße unmittelbar nach Kriegsende. Die letzten Schemen des „Schattenmannes“ (links) verweisen auf die „Feind hört mit!“-Propagandaaktion vom Jahresbeginn 1944. (Historisches Archiv der Stadt Köln/ National Archives and Records Administration, Washington D.C.)

Aus Enttäuschung wurden schnell Vorwürfe. Zwar legten die Kölner*innen nach dem Einmarsch der US-Truppen umgehend ihre Fähigkeit und Bereitschaft an den Tag, sich schnell den jeweiligen Verhältnissen anzupassen. Zugleich entwickelten sie jedoch Entlastungsstrategien, um ihr früheres Verhalten zu erklären. Diese folgten zumeist dem Muster, dass es die anderen gewesen waren, die den Nationalsozialismus unterstützt hatten, während man selbst stets auf Distanz zu ihm geblieben sei.

Daraus resultierte als weiterer Vorwurf an die Sieger, sie würden verkennen, dass gerade die Kölner*innen mehrheitlich „innerlich Gegner des Systems“ gewesen seien und sowohl die NS-Verbrechen als auch den Krieg verurteilt hätten. Vielmehr hätten sie die Alliierten sehnlich als Befreier erwartet. Die würden nun aber fälschlicherweise eine „verschwindend kleine Verbrecher-Clique und ihre Folterknechte“ mit dem weit größeren Teil des „anständigen deutschen Volkes“ in einen Topf werfen und verurteilen. Andeutungen einer persönlichen Verantwortung oder gar Mitschuld suchte man in solchen Aussagen vergeblich.

Stattdessen dominierte in der unmittelbaren Nachkriegszeit bedingt durch traumatische Erfahrungen im Luftkrieg, den Verlust von Angehörigen und die schrittweise wachsenden Not gerade innerhalb der Kölner Bevölkerung die Wahrnehmung, selbst „Opfer“ des NS-Regimes geworden zu sein.

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"Ganz offensichtlich erzählen die Deutschen der Militärregierung das, wovon sie glauben, dass es gerne gehört wird. (…) Seine wirkliche Einstellung zur Besetzung besteht in einer gefügigen Haltung, abzuwarten, um zu sehen, was weiterhin geschieht. Politisch ist er stumm. (…) Unter einigen ist ein leichtes Bewusstsein von Kriegsschuld. Einige stellen fest, dass Hitler persönlich und an erster Stelle für den Krieg verantwortlich sei. Und ihre Schuld liege darin, ihm zu viel Macht gegeben zu haben, den Krieg möglich gemacht zu haben." (Daily Report der Kölner Militärregierung, 24.3.1945)

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"Niemand ist Nazi. Niemand ist je einer gewesen. Es hat vielleicht ein paar Nazis im nächsten Dorf gegeben, und es stimmt schon, diese Stadt da zwanzig Kilometer entfernt war eine regelrechte Brutstätte des Nationalsozialismus. Wir haben aber nichts Unrechtes getan; wir sind keine Nazis. – Man müsste es vertonen. Dann könnten die Deutschen diesen Refrain singen, und er wäre noch besser. Sie reden alle so. Man fragt sich, wie die verabscheute Nazi-Regierung, der niemand Gefolgschaft leistete, es fertig brachte, diesen Krieg fünfeinhalb Jahre lang durchzuhalten." (Reportage Martha Gellhorn, April 1945)

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"Dann lehnte sich die Frau nach vorne und flüsterte: Viele wurden dazu gezwungen, der Partei beizutreten, obwohl sie nicht wollten. Wenn man nicht beitrat, bekam man kein Brot. Mein Mann wurde dazu gezwungen und er sagte immer, dass Deutschland den Krieg nicht gewinnen kann. Vor fünf Jahren sagte er, dass es hoffnungslos ist, weil die Amerikaner an der Seite Englands in den Krieg eintreten werden, und wir könnten nicht gegen eine solche Masse von Material kämpfen, wie wir (die Amerikaner) produzieren." (Bericht des US-Korrespondenten Don Whitehead aus Köln, Washinton Post, 5.3.1945)

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Hinweisschild auf die Kölner Galerie Abels, die bis 1943 am Wallrafplatz 6 beheimatet war und nach der Zerstörung nach Dresden übersiedelte. 1945 kehrte sie nach Köln – nun Wallrafplatz 3 – zurück. (Dr. Franz Rieder)

Jenseits der Übernahme eigener Verantwortung zeigte man hingegen durchaus auch Bereitschaft, die Opfer anzuerkennen, die das NS-Regime weltweit gefordert hatte - Opfer, „wie sie in der Geschichte der Menschheit noch nie da gewesen sind und hoffentlich auch nicht wiederkommen werden“. So appellierte etwa der 1877 geborene Kölner Arzt Wolfgang Michels anlässlich des Kriegsendes am 8. Mai an das deutsche Volk, den unbedingten „Kampf um die Wahrheit“ an- und aufzunehmen.

Das fiel wahrlich nicht leicht. Das, was nach der Befreiung der Konzentrationslager bekannt wurde und mit dem die deutsche Öffentlichkeit durch eigene Anschauung vor Ort sowie durch Film, Bild und Schrift konfrontiert wurde, war so ungeheuerlich, dass es viele zunächst nicht glauben wollten oder konnten. Wenn es auch kaum zutraf, dass fast alle von „nichts“ gewusst haben wollten, so überstieg das Ausmaß an Brutalität und Gräuel, das nunmehr sichtbar wurde, das menschliche Vorstellungsvermögen. Ahnen und Wissen erwiesen sich als unterschiedliche Kategorien, und das Akzeptieren der Tatsache, zumindest indirekt an solchen Verbrechen beteiligt gewesen zu sein, überstieg die Fähigkeiten der meisten Deutschen.

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"Nein, meine Herren Alliierten, so geht es nicht! Ich kann begreifen, dass man der Welt dauernd die in den Konzentrations-Lagern durch vertierte menschliche Bestien verübten Gräueltaten einhämmert. Aber den weitaus größten Teil des anständigen deutschen Volkes mit dieser, was sich immer mehr erweist, verschwindend kleinen Verbrecher-Clique und ihren Folterknechten in einen Topf zu werfen, denn das tut man, wenn man dem ganzen deutschen Volk auch die Verantwortung dafür aufladen will, das schießt weit über das Ziel hinaus und kann unmöglich der Befriedigung des Volkes und der Welt dienen. (...) Man wird feststellen können und müssen, dass nur die wenigsten wussten, dass es außer Dachau, welches man für ein streng geführtes Arbeitslager hielt, auch noch andere KZ-Lager gegeben hat und nur die wenigsten etwas von den Gräueltaten, die dort verübt wurden, etwas wussten oder auch nur ahnten. Denn die unglücklichen Opfer, die dieser Hölle entronnen waren, mussten ja schweigen, weil Reden die Rückkehr in die Folterkammern und den sicheren Tod bedeutet haben würde." (Tagebucheintrag Wolfgang Michels, 23.4.1945)

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"Es ist schrecklich, dieses Chaos und die Auflösung aller bestehenden Ordnung, wenn diese auch nur noch auf Gewalt und der Angst der Allgemeinheit aufgebaut war. Nun beginnt ein wüstes Blutbad unter den ‚Nazis‘, die bisher unsere Führung waren. Mitleid kann man kaum mit ihnen haben, besonders wo jetzt so manches von ihnen aufgedeckt wird, was bisher doch nicht so bekannt war. Wenn ich an die Berichte über das KZ-Lager in Buchenwald denke, dann tut mir immer alles weh vor Empörung, Schmerz und hilfloser Unverständlichkeit solchen Untermenschentums. Das so etwas im 20. Jahrhundert möglich ist – und in Deutschland." (Tagebucheintrag Liesel Strausfeld, 30.4.1945)

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"Am späten Abend hörte ich soeben einen Augenzeugen-Bericht über das berüchtigte KZ-Lager Buchenwald. Es ist nicht übertrieben, wenn ich, bildlich, sage, dass mir beim Anhören jedes Haar einzeln zu Berge gestiegen ist. Angesichts der dort von der S.S. verübten Bestialitäten und tausendfachen Morde und angesichts der aus dem jetzt besetzten Mülheim, Deutz und Kalk berichteten Gräuel versagt die Stimme und die Hand weigert sich, darüber weiter zu schreiben. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass Menschen und besonders deutsche Menschen so tief sinken und sich in Bestien verwandeln könnten. (…) Und wenn auch nur die Hälfte davon wahr ist, so haben diese entmenschten Bestien den deutschen Namen auf Generationen hinaus geschändet und entehrt." (Tagebucheintrag Wolfgang Michels, 16.4.1945)

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"Erst wenn sich das deutsche Volk zur Wahrhaftigkeit durchgerungen, erst wenn es die Fesseln der Lüge, in denen es seit Aufkommen der braunen Pest gelegen hat, mit eigner Kraft gesprengt haben und sich auch innerlich von den Irrlehren der nationalsozialistischen Ideologie losgelöst haben wird, kann es daran denken, durch seinen Geist und seine Taten die Freiheit wieder zu erlangen, die ihm für lange Zeit verweigert werden wird." (Tagebucheintrag Wolfgang Michels, 8.5.1945)

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"Sie meinen die Sache mit den Konzentrationslagern? Das ist alles äußerst unangenehm für uns; wir haben schon zu viel Leid ertragen müssen. Als ich letzte Nacht die Sendung über Buchenwald hörte, habe ich das Radio ausgestellt, weil ich es einfach nicht hören wollte ... Natürlich werden Sie jetzt sagen, dass das zeigt, wie schwach die Deutschen sind, wie wir unangenehmen Nachrichten aus dem Weg gehen. Aber welchen Nutzen würde das alles unter den Nazis gehabt haben? Wenn irgendjemand auch nur ein Wort über Konzentrationslager verloren hätte, wäre er selber hineingesteckt worden. (…) Es ist ja nicht so, als wäre das alles über Nacht geschehen. Alles entwickelte sich so langsam, dass niemand erkennen konnte, wie weit die Dinge schon gediehen waren — bis es zu spät war. Deshalb ist es so schwer für uns zu verstehen, warum die Amerikaner uns die Schuld für all das geben, was einige wenige getan haben. Ich hatte schließlich nichts mit Buchenwald zu tun." („Fräulein“ Opladen gegenüber US-Offizier Hartshorne, März 1945)

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Stahlhelme von Wehrmachtsangehörigen und weitere Ausstattungsgegenstände deutscher Soldaten, Köln 1945 (Dr. Franz Rieder)

Der von Wolfgang Michels angemahnte Weg zur Wahrheitsfindung sollte daher ein unerwartet langer werden. Zunächst wurde auch in Köln nahezu ausschließlich aufgebaut und verdrängt, und es sollte bis zum Ende der 1960er Jahre dauern, bis sich ein erster Bewusstseinswandel abzeichnete, in dessen Verlauf es schrittweise möglich wurde, eine zumindest partielle Täterrolle zu akzeptieren und die entsprechende Verantwortung dafür zu übernehmen.

Heute deutet sich – leider - in einigen Teilen der deutschen Bevölkerung eine erneute und sehr problematische Schwerpunktverlagerung in diesem Täter- und Opferdiskurs an. Es steht zu hoffen, dass die oftmals emotional sehr aufgeladene Diskussion in ruhigere und sachlichere Bahnen einmündet. Eins zumindest dürfte als gesichert gelten: Eindimensionale Erklärungsversuche und Schuldzuweisungen haben noch nie zu positiven Ergebnissen geführt.

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Entnazifizierung

Nach negativen Erfahrungen in Aachen waren die Amerikaner fest entschlossen, ehemalige Mitglieder der NSDAP in Köln völlig vom Wiederaufbau des öffentlichen Lebens fernzuhalten. Stadtkommandant Patterson strebte an, „dass kein früheres Parteimitglied für irgendeine Position in der Verwaltung in Frage kommt, wie wichtig oder unbedeutend sie auch sein mag“. Auch im „Instruktionsbrief“ an die neu eingesetzte Kölner Stadtverwaltung ließ die US-Militärregierung am 26. März keinerlei Zweifel daran, dass niemand, der „zu irgendeiner Zeit Mitglied der NSDAP“ gewesen war, in der Stadtverwaltung beschäftigt werden durfte. Für einen solchen Ausschluss war es gleichgültig, ob die Belasteten aus Überzeugung oder aus Opportunismus zu „Parteigenossen“ (Pg.) geworden waren. Sie blieben außen vor und mussten – zunächst sogar unter Aberkennung ihrer Pensionsansprüche – ihre angestammten Positionen räumen. Ihnen blieb bestenfalls die Möglichkeit, sich als einfache Arbeiter zu verdingen.

Diese Radikalität signalisierte den alliierten Wunsch nach einem wirklichen politischen und damit zwangsläufig auch personellen Neubeginn. Hierzu waren sie zunächst durchaus bereit, die Folgen einer solchen Haltung für den Wiederaufbau in Kauf zu nehmen.

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"Soeben habe ich die erste Proklamation gelesen. Sie beginnt mit der Feststellung, dass die Amerikaner wohl als siegreiche Armee, aber nicht als Unterdrücker in das Rheinland gekommen seien, kündigt die Ausrottung des Nationalsozialismus und der N.S.D.A.P. an. Ich möchte bezweifeln, dass man bei der Durchführung dieses Programms auf großen Widerstand stoßen wird. Die Stimmung der Bevölkerung wenigstens hier im Süden spricht für meine Ansicht. Köln hat eben zu viel durchgemacht und doch wohl alles verloren, was seinen Bewohnern lieb und wert war. Und doch hat man alle Opfer geduldig getragen, auch die in letzter Zeit ins Maßlose gesteigerten Schikanen in den Ortsgruppen. (…) Wenn ich daran denke, was uns von der Propaganda seit dem vergangenen Herbst vorgelogen worden ist, das kalte Grauen kann einen überkommen." (Tagebucheintrag Wolfgang Michels, 9.3.1945)

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"Da hierdurch viele [städtische] Bedienstete automatisch ausgeschlossen werden, wird diese Politik kurzfristig zu Effektivitätseinbußen in der Verwaltung führen. Man glaubt jedoch, dass der Versuch, mit Nazi-Elementen Kompromisse zu schließen und vertretbare Unterscheidungen zwischen ‚Gesinnungs-Nazis‘ und solchen, die ‚zur Mitgliedschaft gezwungen waren‘, zu treffen, langfristig verhängnisvoll sein würde." (Daily Report der Militärregierung Köln, 16.3.1945)

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Ein US-Soldat und ein älterer Deutscher auf der Suche nach NS-Relikten in einem Kölner Keller, 1945 (Dr. Franz Rieder)

Stadtkommandant Patterson wurde als Mann der Praxis schnell klar, dass der Kurs einer konsequenten Entnazifizierung viele dringend benötige Fachleute von einer Beschäftigung ausschloss und so die Effektivität der neuen Verwaltung dramatisch beeinträchtigte. Auch Konrad Adenauer, zunächst ebenfalls Verfechter eines strikten Kurses, passte seine Meinung in nüchterner Einschätzung der Lage bald den realen Erfordernissen des Kölner Verwaltungsalltages an. Spätestens ab Juni 1945 setzte er sich vehement dafür ein, „die früheren Mitglieder der NSDAP nicht schlechthin von jeder Tätigkeit auszuschließen und sie dadurch einer neuen nationalsozialistischen Propaganda in die Arme zu treiben“. Es wurden erste Anzeichen des heraufziehenden „Kalten Krieges“ spürbar.

Auch die Amerikaner vertraten längst einen weitaus pragmatischeren Standpunkt und begannen die in Köln zunächst geltenden harten, auf Dauer kaum haltbaren Anordnungen schrittweise zu entschärfen. Man suchte und fand Kompromisse, um zwei eigentlich unvereinbarere Problembereiche unter einen Hut zu bringen: eine strikte Entnazifizierung und die Notwendigkeit, „to get things run“. Um hier Fortschritte zu erzielen, war es unumgänglich, die Vorschriften erheblich aufzuweichen.

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"Der Nazismus hat, bedingt durch Terror und Günstlingswirtschaft, einen solchen Einfluss auf das städtische Leben genommen, dass es äußerst schwierig ist, einen Mann oder eine Frau zu finden, die keine Verbindung zur Partei hatten. (…) Das Problem ist, dass jeder Rheinländer, ob glühender Nazi oder passives Parteimitglied, darauf besteht, dass er nur beigetreten sei, weil ihn die Notwendigkeit zu leben und zu essen dazu zwang. Es ist kein einfacher Job zu entscheiden, wer lügt." (New York Times-Korrespondent Raymond Daniell aus Köln, 26.3.1945)

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"Wie Herr Dr. Adenauer mir sagte, verursacht die engstirnige Verfügung, wonach Parteigenossen unter keinen Umständen einen Verwaltungsposten erhalten sollen, große Schwierigkeiten, denn alle eingearbeiteten Kräfte, die jetzt im Wiederaufbau Kölns eingesetzt werden sollen, waren ausnahmslos Parteimitglied. Allein beim Wasserwerk waren von 21 eingearbeiteten Fachkräften nur drei, die nicht in der Partei waren." (Bericht Generalkonsul Rudolf von Weiss, April 1945)

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"Eine kürzlich mit Dr. Adenauer, dem Oberbürgermeister von Köln, geführte Unterhaltung offenbart, was einige nachdenkliche liberale Führungskräfte aus der Oberschicht denken. Dr. Adenauer ist äußerst darum bemüht, die Leute so schnell wie möglich zur Normalität zurückzuführen, und er hat den Eindruck, dass die Russen hierbei viel schneller vorankommen als wir. Die russische Politik der ‚Brot und Spiele‘ ist sehr geschickt. (…) Dr. Adenauer drängt auch auf eine Modifikation der Politik hinsichtlich der Bestrafung der Nazis. Er ist der Meinung, dass alle Nazis bestraft werden sollten, jedoch im Verhältnis zum Ausmaß ihrer Aktivitäten. Er klassifiziert sie wie folgt: (1) Mitglieder von vor 1933, die die Partei mitaufgebaut haben; (2) Mitglieder seit 1933, die aktiv waren; (3) ‚Parteibuch-Mitglieder‘, die nur beigetreten waren, um ihren Arbeitsplatz zu retten. Die erste Kategorie sollte aus allen Vertrauens- oder Verantwortungspositionen entfernt, viele einer Gefängnisstrafe überantwortet werden. Die zweite Kategorie sollte zumindest auf die Posten und zu der Entlohnung von vor 1933 zurückkehren und mindestens fünf Jahre nicht befördert werden dürfen. Die dritte Kategorie sollte auf die Posten von 1933 zurückkehren und für mindestens zwei Jahre nicht befördert werden dürfen. Allen Nazis und ebenso Nicht-Nazis, die vom Nazi-Regime profitierten, sollten die Gewinne und übermäßiger Besitz weggesteuert werden. Dr. Adenauer ist davon überzeugt, dass dieser Plan weniger Schwierigkeiten mit sich bringen wird als das gegenwärtige Beharren darauf, dass alle Parteimitglieder für immer vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden. " (Daily Report der Militärregierung Köln, 7.6.1945)

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"Gestern Abend Gespräch mit Adenauer, der von meinem Vorhaben gehört hat, mich im Namen des Klerus gegen die unterschiedslose Behandlung der Parteigenossen durch die Amerikaner einzusetzen. Adenauer glaubt, mich dringend davon abhalten zu müssen: einmal, weil der Schritt wirkungslos sei, was ich auch einsehe; dann aber, weil er überhaupt unangebracht sei, denn alle diese Parteigenossen seien schuldig durch ihre Feigheit; wenn sich das deutsche Volk von Anfang an gewehrt hätte, so wäre die ganze Geschichte unmöglich gewesen. Ich widerspreche dem und bringe Beispiele, wo nicht Feigheit der Grund für den Eintritt in die Partei gewesen ist, sondern das Bemühen zu retten, Einrichtungen vor nationalsozialistischer Durchseuchung zu bewahren, z. B. den christlichen Geist einer Schule zu erhalten. Ein solch unterschiedsloses Vorgehen ist ungerecht. Es wirft Schuldige und Unschuldige wirklich in einen Topf. (…) Wir müssen uns im Namen der Gerechtigkeit gegen ein solch unterschiedsloses Vorgehen wehren." (Tagebucheintrag Robert Grosche, 13.4.1945)

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Ein politisch Belasteter vor einem amerikanischen Militärgericht, Köln 1945 (Dr. Franz Rieder)

Als Folge dieser Entwicklung fiel die politische Überprüfung städtischer Beschäftigter zunehmend oberflächlich aus. Auch bei Kandidaten für wichtige Posten, die zunächst seitens der Militärregierung weiterhin ausführlichen Überprüfungen unterzogen wurden, gestaltete sich die Beurteilung immer nachsichtiger.

Bis Ende April 1945 waren immerhin 90 Prozent der damals rund 3.000 Angehörige zählenden Stadtverwaltung überprüft, etwa zwei Drittel in einem Kurzverfahren. 743 Bewerber für wichtigere Positionen wurden von eigens hierfür ausgebildeten US-Einheiten genauer durchleuchtet, 318 von ihnen schließlich wegen politischer Belastung abgewiesen. Die relativ geringe. Ablehnungsquote von insgesamt rund zehn Prozent der Beschäftigten war wohl Ausdruck für eine sich zunehmend am problematischen Alltag orientierende Säuberungspraxis.

Die bis zum Abzug der Amerikaner im Juni 1945 in Köln praktizierte Form der Entnazifizierung setzte ein erhebliches Maß an Kooperationsbereitschaft auf deutscher wie amerikanischer Seite voraus. Unter jenen, die aufgrund ihrer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus benachteiligt oder gar verfolgt worden waren, gab es allerdings viele, die mit der abnehmenden Härte der politischen Säuberung alles andere als einverstanden waren.

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"But you are member of the party muss ich hören. Es hilft mir nichts, dass ich erkläre, dass ich wie fast alle Beamten nur unter Druck von oben Parteimitglied geworden bin. Schließlich stellt er mir frei, dass ich als Angestellter anfangen darf und mich bei den beiden Vertrauensleuten der Amerikaner melden soll. (…) Beide waren mir gegenüber durchaus anständig, und ich nahm als erster der höheren Beamten von der RPD die Arbeit wieder auf. Ungestört blieb ich auf meinem Posten allerdings nicht, weil mir immer wieder mal als PG die Entlassung drohte, solange die üblen Gesellen von der Entnazifizierungskommission gegen jeden wüteten, der in der Partei war. Dabei waren die Burschen von der Kommission fast durch die Bank nur verhinderte Parteigenossen, die wegen ihrer früheren Zugehörigkeit zu Kommunisten, Sozialdemokraten, Zentrum, Loge usw. den Nazis verdächtig waren und daher in die NSDAP nicht aufgenommen worden waren. Jetzt waren sie hoch bezahlt und hatten alles Interesse, recht viel lange zu arbeiten. Den Vorsitz hatte ein Jude." (Tagebucheintrag Hans Diefenbachm 23.4.1945)

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"Es gibt - gerade unter den politisch interessierten Menschen - einen gewissen Unwillen darüber, dass man in der Behandlung der Nazis viel zu tolerant ist. Man versteht nicht, warum amerikanische Soldaten Straßen reparieren, während frühere Nazis herumlaufen und Zusehen dürfen. Man versteht nicht, warum überhaupt noch so viele Nazis frei herumlaufen und sich manchmal schon wieder ins öffentliche Leben sogar mit Privilegien hineinschmuggeln. (…) Jeder, der Mitglied der Nazipartei gewesen ist, wird zunächst als ein Mensch betrachtet, der seiner bürgerlichen Ehrenrechte verlustig gegangen ist." (Bericht von Werner Hansen aus Köln, 20.4.1945)

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Das NS-Hoheitszeichen am Gebäude der Gauleitung wird demontiert, Mai 1945 (Koelnprogramm)

Gerade die mit ihrer Befreiung verbundenen Hoffnungen ehemals Verfolgter auf eine konsequente und umfassende politische Säuberung erfüllten sich nicht einmal ansatzweise. Einer der Gründe für das weitgehende Scheitern der Entnazifizierung war sicherlich im Fehlen von verbindlichen Richtlinien zu suchen. Aber auch die politische, psychische und moralische Disposition des Großteils der Bevölkerung stellte eine wenig belastbare Basis für weitgehende Säuberungsmaßnahmen dar. Die deutsche Gesellschaft der Nachkriegszeit – und hier besonders die Kirchen – standen derartigen Bestrebungen häufig geradezu diametral entgegen.

Bis auf den „Instruktionsbrief“ der US-Militärregierung an die Stadtverwaltung vom März 1945 lassen sich bis in den Herbst des Jahres keine weiteren verbindlichen Verordnungen für die Durchführung der politischen Säuberung in Köln nachweisen. Es hat allerdings den Anschein, als ob mit der Übertragung der Militärverwaltung auf die Briten in dieser Hinsicht noch weitgehendere Lockerungen einhergegangen wären. Am 14. Juli 1945 teilte Captain Swan der Kölner Stadtverwaltung jedenfalls mit, „dass die britische Militärregierung den scharfen Kurs der Amerikaner in der Pg.-Frage nicht fortsetzen wolle“.

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"Heute Morgen kam eine Frau, deren Mann wegen seiner Zugehörigkeit zur Partei, bei der er in einer Gliederung ein höheres Amt bekleidet hat, verhaftet worden ist. Da der Mann zu meiner Pfarre gehört hat und ich ihn gut kenne, habe ich mich sofort durch ein Zeugnis für ihn eingesetzt. Hier wird überhaupt eine unserer Aufgaben liegen müssen; wir werden uns für solche Leute wirklich einsetzen müssen." (Tagebucheintrag Robert Grosche, 24.3.1945)

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"Der Reinigungsprozess im Stadt-Kreis Köln ist der erste Schritt als Voraussetzung einer politischen Verantwortlichkeit der Einwohner der Stadt. Nach der Art und Weise, in der sie die ihnen übertragenen Aufgaben durchführen, wird ihre politische Festigkeit und Reife beurteilt werden. " (Britische Militärregierung Köln, September 1945)

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"Wir werden überall unseren Einfluss geltend machen und unsere vordringlichen Forderungen klarlegen: Völlige Entnazifizierung von Staat, Land, Gemeinde, der Industrie und Wirtschaft, der Betriebe, des Gewerbes und des Handels. (...) Wir wissen um die Not der Pgs. Alle ‚mussten‘ sie 1933 in die Partei, und keiner ahnte etwas von dem, was mit den politischen Gefangenen geschah. Warum sind wir denn 1933 nicht in die Partei eingestiegen? Wir mussten doch auch nicht, und so viele von uns hatten das Zeug in sich, hohe Posten bei den Nazis zu erhalten. Wir wählten den geraden Weg, allerdings ein Weg der Not, der Arbeitslosigkeit und der Unterdrückung. Wir werden aufpassen auf alle, auch auf die von ganz oben und die immer Parteilosen. Wir werden nicht weich werden, und wir werden wägen zwischen Schuld und Zwang. Wir werden nicht die Kleinen hängen und die Großen laufen lassen. Beide, die Großen und die Kleinen, werden gemessen nach ihrer Schuld. Wir werden scharf prüfen, was von den einzelnen Pgs noch tragbar ist, und meine persönliche Forderung ist: Wir bringen die Schuldigen dahin, wo sie hingehören, nämlich in die Konzentrationslager und Zuchthäuser, wo wir selbst waren!" (Protokoll einer Besprechung von Vertrauensleuten der früheren Kölner Arbeiterbewegung, 29.4.1945)

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Demonstration in Köln nach dem milden Urteil gegen den ehemaligen stellvertretenden Gauleiter Richard Schaller, Köln 1948 (www.werkladen.de/Walter Dick Archiv)

Die meisten jener, die sich zwischen 1933 und 1945 schwerer Verbrechen schuldig gemacht hatten, blieben weitgehend unbehelligt. Von der unheilvollen Rolle vieler NSDAP-Ortsgruppenleiter im rechtsrheinischen Köln war bereits die Rede. Aber auch der für deren Wüten und Morden verantwortliche NSDAP-Kreisleiter Alfons Schaller wurde nur sehr moderat zur Verantwortung gezogen. Nach dreijähriger Internierungshaft stellten ihm wichtige Repräsentanten der katholischen Kirche Mitte 1948 überaus positive „Persilscheine“ für sein Entnazifizierungsverfahren aus. Nicht zuletzt deshalb wurde der schwerstbelastete NS-Funktionär nur zu 3½ Jahren Haft verurteilt. Weil die Dauer der Internierung angerechnet wurde, verließ Schaller den Gerichtssaal praktisch als freier Mann und war danach völlig unbehelligt als Fabrikant und Lederwarengroßhändler in Köln tätig.

Ähnlich gestaltete sich das Nachkriegsschicksal des Kölner Gauleiters Josef Grohé: Zunächst bis August 1946 unter falschem Namen untergetaucht, wurde er von den Alliierten verhaftet, bis 1949 interniert und anschließend an die Bundesrepublik ausgeliefert. Ein deutsches Gericht verurteilte ihn 1950 zu 4½ Jahren Haft, die Grohé jedoch nie antreten musste. Stattdessen wurde auch ihm die Internierungszeit angerechnet und - nachdem sich u.a. Erzbischof Frings dessen Gnadengesuch angeschlossen hatte - der Rest der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Danach lebte Kölns ehemals oberster NS-Repräsentant bis zu seinem Tod im Jahr 1987 als Kaufmann der Spielzeugbranche in der Stadt. – Die Beispiele ließen sich fortsetzen.

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"Viele Opfer des Naziterrors (...) verstehen nicht, dass der Personenkreis der Nazis und der Kriegsverbrecher so eng gezogen werden soll, dass selbst Gestapobeamte nach zweitägiger Haft wieder entlassen [werden], Ortsgruppenleiter der NSDAP frei herumlaufen und vor allem nach wie vor in leitenden Positionen der Wirtschaft - und in vielen Bezirken auch der öffentlichen Verwaltung - noch Pgs, und zum Teil sehr aktive Pgs herumsitzen, die heute bereits wieder Antifaschisten das Leben schwer machen und Pgs bei den Einstellungen bevorzugen. In Köln macht bereits das bittere Wort die Runde: Geh und lass dich noch nachträglich bei der NSDAP als Mitglied aufnehmen, es kann dir vielleicht nützlich sein! Sie verstehen auch nicht das Gerede von den sogenannten ‚Muss-Pgs‘, die jetzt offenbar aus der Diskriminierung herausgenommen und sehr wahrscheinlich sogar wieder in die Verwaltung aufgenommen werden sollen. Sie wissen sehr genau, dass dadurch das große Loch geöffnet wird, durch das jeder Gauner mit entsprechenden gesellschaftlichen Verbindungen wieder in seine alten Positionen hineinschlüpfen wird." (Bericht von Werner Hansen aus Köln, 30.6.1945)

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Kriegsende - VerdrÄngung - Opferrolle

Befreite polnische Zwangsarbeiterin mit einem US-Soldaten am VE-Day (Victory in Europe-Day) in Köln, 7. Mai 1945 (National Archives and Records Administration, Washington D.C.)

Nachdem die Kölner Bevölkerung am 6. März bereits das Kriegsende im linksrheinischen, sechs Wochen später dann jenes im rechtsrheinischen Stadtgebiet erlebt hatten, brachte der 8. Mai 1945 das offizielle Ende aller Kämpfe und der damit verbundenen Zerstörungen und Opfer für das gesamte Reichsgebiet.

Sehr viele Menschen nahmen dieses einschneidende Datum kaum mehr wahr, da sie sich bereits mit der Besetzung ihres Heimatortes auf den Wiederaufbau in einer ungewissen und in jedem Fall schwierigen Nachkriegszeit konzentrierten. Außerdem sorgte man sich um den Verbleib von Familienangehörigen, die in Gefangenschaft, vermisst oder noch in der Evakuierung waren, ohne dass man wusste, ob sie das Kriegsende unbeschadet überstanden hatten.

Vor diesem Hintergrund wurden die ersten Nachkriegsmonate von sehr unterschiedlichen und zudem häufig wechselnden Gefühlslagen bestimmt, die zwischen Trauer, Enttäuschung und Resignation changierten und zunächst nur wenig Raum für Hoffnungen oder gar Optimismus ließen.

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"Mittwoch, 9. 5. 45. Seit heute Nacht 0.01 ist Waffenstillstand nach fast sechs Jahren des Mordens. Nun stehen wir da, als wären wir alle Verbrecher. Jetzt sind wir schuld, was die oberen Zehntausend verbrochen haben. Wir, ausgerechnet wir, hätten das alles wissen müssen. Es ist immer der kleine Mann." (Tagebucheintrag des am Takuplatz wohnenden J.K., 9.5.1945)

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"Und wo stehen wir heute? Ist Deutschland nicht nur noch ein einziges großes Trümmerfeld? Wie viel deutsche Familien gibt es denn noch im Osten und Westen des Reiches, die noch beisammen sind? In unserem Hause leben wir zu 4 Personen, von denen nicht eine über den augenblicklichen Aufenthalt ihrer Angehörigen etwas weiß. (...) Wo ist der Segen und das Heil geblieben, welches Hitler uns bringen wollte? Und immer noch geht das Morden weiter. Täglich fallen Tausende Deutscher, gehen ebenso viele in Kriegsgefangenschaft. Die Tore der Gefangenenlager werden sich eines Tages öffnen, die Gräber aber nie. Verzweifelt frage ich mich oft: Wer ist besser dran, die Toten oder die Gefangenen, die eines Tages in ein zerstörtes Land zurückkehren werden, welches ihnen einst Heimat war, in dem sie nichts als Jammer und Elend finden und lange Zeit suchen werden, bis sie ihre Angehörigen, wenn sie überhaupt noch unter den Lebenden weilen, wieder finden werden?" (Tagebucheintrag Wolfgang Michels, 27.3.1945)

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"Mittwoch, 2. 5. 45. Heute Morgen 7.00 Uhr wurde bekanntgegeben, dass Hitler tot und Dönitz sein Nachfolger sei. Was mag dieser Idiot eigentlich noch wollen. Das geht nach dem Motto: jeder einmal Führer, jeder einmal Oberbefehlshaber spielen, und wenn es nur für 5 Minuten ist. Unser heißgeliebter Führer ist, wie gesagt, 20 Jahre zu spät gestorben. Dieses Verbrechergesindel. Liebe Käthe, du weißt, dass ich dieses Wort immer gebraucht habe, dann hieß es: ja, du auch mit deinen gewöhnlichen Ausdrücken. Heute denkt ihr alle anders, heute ist euch allen kein Wort hart genug für diesen Hasardeur! Gelinde ausgedrückt." (Tagebucheintrag des am Takuplatz wohnenden J.K., 2.5.1945)

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"In Köln ist es völlig ruhig, der Karwoche entsprechend. Nur dass einem Karfreitag in Deutschland so bald kein Ostern, keine Auferstehung folgen wird. Wenn ich durch die verwüsteten Straßen nur des südlichen Stadtteils gehe und mich frage, wo die Menschen, die einmal wieder in die Heimat zurückkehren wollen, ganz abgesehen von den Soldaten, ein Unterkommen finden sollen, ich weiß keine Antwort. Auch abgesehen von der Frage, wo die Menschen noch die Möglichkeit haben werden, das Geld zu verdienen, welches sie zum noch so bescheidenen Lebensunterhalt benötigen. Die Mehrzahl der in dieser Gegend wohnenden Männer waren doch Fabrikarbeiter in der Schwerindustrie, die heute zerstört ist und doch nicht wieder aufgebaut werden soll, wenn man an die diesbezügliche deutsche Propaganda denkt. Gewiss wird man viele Menschen, vielleicht sogar zwangsweise, in den Aufräumungsarbeiten beschäftigen. Aber es kann ja auch nur eine beschränkte Zeit dauern. Und ob nach der Forträumung des Schuttes auch der Hass beseitigt sein und auch der deutschen Menschheit die Möglichkeit eines Wiederaufstiegs gegeben sein wird?" (Tagebucheintrag Wolfgang Michels, 27.3.1945)

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"Der Krieg in Europa ist zu Ende. In allen Ländern Europas erklingen Friedensglocken, feiern die Völker den Sieg über Deutschland, über Nazi-Deutschland, den Sieg über 3 Millionen, die durch unmenschlichen Terror als kleine Minderheit die anderen 57 Millionen Deutsche in Banden und Fesseln schlugen, sie in den Krieg zwangen und ihrem verbrecherischen Wahnsinn Millionen und Abermillionen deutscher Menschen opferten, die unter Führung eines Hitler, Himmler, Göring und Goebbels der ganzen Welt Opfer an Gut und Blut auferlegten, wie sie in der Geschichte der Menschheit noch nie da gewesen sind und hoffentlich nie wiederkommen werden. (…) Gewiss, der Weg ist furchtbar, besonders für die unzähligen anständigen Deutschen, die als Beamte, Angestellte, Arbeiter und Angehörige der sogenannten freien Berufe mit tausend Drohungen und Erpressungen in den Dienst dieser jetzt endgültig liquidierten Verbrecherbanden gezwungen wurden und aus Furcht vor der Vernichtung ihrer und ihrer Familien Existenz wenigstens scheinbar mitmachen mussten." (Tagebucheintrag Wolfgang Michels, 8.5.1945)

Abrechnung mit der Vergangenheit? | Kriegsende - VerdrÄngung - Opferrolle

Altes Hinweisschild auf eine „Wehrmachtsgaststätte“ in der Kölner Innenstadt, Frühjahr 1945 (Dr. Franz Rieder)

Werner Hansen stellte bereits im April 1945 fest, dass die Kölner*innen „gern vergessen“ möchten, wobei er nicht nur die Schrecken des Bombenkriegs, sondern auch die Verstrickung vieler in das NS-Regime im Blick hatte. Ob das – wie später dargestellt – tatsächlich dazu führte, dass die Alliierten als „Verteidiger der Demokratie“ und die Kölner Bevölkerung als „Beschädigte der Diktatur“ in der unmittelbaren Nachkriegszeit „verschiedene Sprachen“ sprachen und sich daher kaum verständigen konnten, muss dahingestellt bleiben. Auch die Behauptung, 1945 sei in Köln angesichts der städtischen Trümmerwüste „alles“ auf den Prüfstand gestellt worden, bedarf der kritischen Relativierung.

Sicherlich lag eine ungewisse Zukunft vor den Menschen, und nicht wenige werden verzweifelt gewesen sein. Dem standen aber Beobachtungen entgegen, die Hannah Arendt fünf Jahren später in drastische Worte fassen sollte. Sie machte in Deutschland einen nur mühsam kaschierten „allgemeinen Gefühlsmangel“ und „offensichtliche Herzlosigkeit“ aus, die sie als „äußerliche Symptom einer tiefverwurzelten, hartnäckigen und gelegentlich brutalen Weigerung“ begriff, „sich dem tatsächlich Geschehenen zu stellen und sich damit abzufinden“. – Damit waren viele Menschen der Nachkriegszeit ohne fremde Hilfe offenbar überfordert.

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"Mögen sich unsere Gegner die Mühe machen, das deutsche Volk, wie es wirklich ist, kennen zu lernen und zunächst abwarten, wie es sich, wenn es sich zunächst einmal von dem Albdruck und dem furchtbaren Terror, unter dem es die letzten 13 Jahre gelebt hat, sich erholt und zu sich selbst zurückgefunden haben wird, verhalten wird. Dann wird man erkennen, dass der gute Kern, seine Arbeitsfreudigkeit, seine Anständigkeit, seine Aufnahmefähigkeit für alles Gute und Schöne in den letzten furchtbaren Jahren wohl verschüttet, aber nicht zerstört worden ist. (...) Dann wird man auch sehen, dass die Giftpflanze des Antisemitismus durchaus nicht in allen deutschen Gärten wuchs und blühte, sondern nur in den von Unkraut stinkenden Parks derer wucherte, die unter Anwendung furchtbarster Bedrückung und Bespitzelung ihre Herrschaft bis heute aufrecht erhalten konnten. (..) Dass das deutsche Volk für die Schäden in den feindlichen Ländern aufkommen muss und wird, weiß ich. Aber dadurch wird der wahre deutsche Geist, wie er sich in seinen Dichtern, Denkern und Wissenschaftlern, in seinen Malern, Bildhauern, Baumeistern und Musikern offenbart hat, nicht zu Grunde gehen." (Tagebucheintrag Wolfgang Michels, 23.4.1945)

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"Es war für uns wenig verständlich, wie die Amerikaner mit den Kommunisten sich verbrüderten; Arm in Arm gegen die deutschen Nazis. Gewiss, die nationalsozialistischen Verbrecher, die diktatorisch ganz Deutschland beherrschten und damit die ganze Welt überziehen wollten, waren mit Recht zu bekämpfen. Ich muss aber den Amerikanern vorwerfen, dass sie weder erkannten noch erkennen wollten, dass das deutsche Volk in seiner überwiegenden Mehrheit innerlich Gegner des Systems war und die Verbrechen der Nazis sowie den ganzen Krieg verurteilte und die Amerikaner als Befreier erwartete. Wir sollten in dieser Hinsicht noch recht viele Enttäuschungen erleben." (Tagebucheintrag Hans Diefenbach, 2. Märzhälfte 1945)

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"Nach der zwölfjährigen reinen Propaganda, die das Denken mit Schlagworten totzuschlagen versuchte, muss der ernsthafte Versuch gemacht werden, in einer verantwortungsbewussten Diskussion, in einem sachlichen Abwägen des Für und Wider eine öffentliche Meinungsbildung neu aufzubauen. Wenn nur wieder mit bloßer Propaganda fortgesetzt wird, wird das deutsche Volk in völlige gedankliche Apathie versinken. Auch in den Radiowiedergaben fehlt das psychologische Verständnis für die jetzige deutsche Wirklichkeit. Diejenigen, die diese Programme gestalten, sollten einmal für vier Wochen in den Trümmern einer deutschen Stadt leben. Diese graue Trostlosigkeit, aus der es kein Entweichen und keine Ablenkung gibt: Köln hat weder ein Kino noch ein Theater noch ein Konzert oder irgendeine andere Möglichkeit, sich einmal von dem Albdruck des Trümmerhaufens zu befreien und irgendwelchen kulturellen Interessen nachzugehen." (Tagebucheintrag Wolfgang Michels, 23.4.1945)

Abrechnung mit der Vergangenheit? | Kriegsende - VerdrÄngung - Opferrolle

Die Kölner Innenstadt im Jahr 1944: Auf der Litfasssäule eines der über das gesamte Stadtgebiet verteilten Plakate zur Propagandaaktion „Feind hört mit“ vom Januar 1944 (NS-DOK)

Tatsächlich tendierten viele Kölner*innen dazu, sich ihrer Mitverantwortung im Zuge eines umfassenden Verdrängungsprozesses schon bald nach Kriegsende weitgehend zu entledigen. Die meisten empfanden sich tatsächlich als „Beschädigte“ des NS-Regimes und wohl noch weitaus stärker als „Opfer“ des Bombenkrieges, für den sie gern andere verantwortlich machten, ohne sich auch nur Gedanken über eine etwaige eigene Schuld zu verlieren.

Diese oft nur zu gern übernommene Rolle als „Opfer“ verstellt vielen Menschen, die die NS-Zeit als bewusst Handelnde und Wahrnehmende erlebten, oft bis heute einen vorurteilsfreien Zugang zur Geschichte des Dritten Reiches. Entsprechend wurde und wird auch die Verantwortung für selbst erlittene Verluste und die weitgehende Zerstörung der geliebten Heimatstadt dem größenwahnsinnigen „Führer“ und seinen Paladinen oder dem britischen Luftmarschall Arthur Harris angelastet. Und unter den zahlreichen Büchern zur Kölner Zeitgeschichte dominieren nach wie vor Publikationen, die den Untergang der Stadt beklagen, ohne tiefergehende Fragen nach den eigentlichen Ursachen zu stellen. Dass es ohne ein 1933 auch kein 1945 gegeben hätte, konnten oder wollten sich viele nicht eingestehen.

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"Nach meiner Gefangenschaft kam ich in das zerstörte Köln zurück und habe mit meiner Frau und mit meiner Hände Arbeit eine neue Existenz aufgebaut und habe mir geschworen, dass ich nie wieder einer Partei oder einem Verein beitreten werde. Meine Begeisterung für den Nationalsozialismus und das Großdeutsche Reich ist ausgeträumt, dafür haben wir zu viel Lehrgeld bezahlt. Aus einem begeisterten Hitlerjungen, der einen unbändigen Glauben an Volk, Führer und Vaterland hatte, ist so ein glühender Verehrer unseres Grundgesetzes und unserer Demokratie geworden, auf die ich heute fest vertraue." (Erinnerung des 1922 geborenen ehemaligen HJ-Mitglieds K.K.)

Abrechnung mit der Vergangenheit? | Kriegsende - VerdrÄngung - Opferrolle

US-Soldaten in der Kölner Innenstadt, 10. April 1945 (National Archives and Records Administration, Washington D.C.)

Vielleicht ist es Resultat solch jahrzehntelanger Verdrängung und der daraus erwachsenen Unfähigkeit, zumindest partiell eine Mitverantwortung für die Geschehnisse zwischen 1933 und 1945 zu übernehmen, dass es weder die Kölner Politiker und Verwaltungschefs noch die Bevölkerung schafften, ihren damaligen Befreiern im Laufe der Jahrzehnte auch nur in Ansätzen zu gedenken oder gar zu danken.

Die Amerikaner, deren Kampfeinsätze zur Befreiung Deutschlands ungezählte Todesopfer gefordert hatten, scheinen aus dem kollektiven Gedächtnis der Stadt Köln gelöscht. Es finden sich lediglich zwei Straßen, deren Namen auf Bürger der USA verweisen, nämlich jene von Henry Ford – im Übrigen ein ausgesprochener Antisemit – und dessen Sohn Edsel. Ihnen verdanken die Kölner die Ansiedlung eines großen Wirtschaftsbetriebes, aber keineswegs ihre Freiheit.

Jene Menschen – Soldaten wie Angehörige der Militärregierung -, die sich im Frühjahr 1945 um die Stadt und um die in ihr lebenden Menschen verdient gemacht haben, hat man hingegen bis heute ebenfalls völlig verdrängt und vergessen.

Kapitel 7: Leben in TrÜmmern

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